27. April 2018

Bärenhöhlengleichnis: Gehört der Mundgeruch zu Griechenland?

Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür / Und ich weiß, er bleibt hier (...) 

Steht es in den Sternen (uuhhuuhhhhuuuuuu) / Was die Zukunft bringt (uuhuhuu) / Oder muß ich lernen / Dass alles zerrinnt?

Marianne Rosenberg, 1975 (Hervorhebung Petz)

Je länger die Diskussion um den Satz "Der Islam gehört..." bzw. "...gehört nicht zu Deutschland" andauert, um so abstruser wird sie. Der sonst so häufig zitierte Aphorismus "Manche Aussagen sind so falsch, dass nicht mal das Gegenteil wahr ist" scheint hier in Vergessenheit geraten zu sein. Selbst diejenigen, die den Satz als sinnlos betrachten (vgl. "Die Zukunft singt gefrorene Integrale"), wollen das zum Teil nur für den Wahrheitswert einräumen, der ihrer eigenen Haltung zum Islam bzw. den Muslimen (zu dieser Unterscheidung später mehr) entspricht. Das wäre auch wirklich viel verlangt - wem der Untergang dräut, der hat keine Zeit mehr für Sprachphilosophie. 

Ich schon. Und deshalb mal eine kleine Textkritik.

Der Ausdruck "etwas gehört zu etwas" ist im Deutschen nämlich mehrdeutig. Er kann deskriptiv, figurativ oder normativ verwendet werden. 

Der deskriptive Gebrauch bedeutet: Eine Entität oder Menge ist in einer anderen Menge enthalten: Die Amseln gehören zu den Singvögeln.

Der figurative Gebrauch kommt z. B. bei dem von Marianne Rosenberg als ihr zugehörig besungenem Objekt (dessen Identität allerdings im Liedtext nicht enthüllt wird) zum Einsatz: Denn wenn es nicht gerade um etwas wie ihren Bauchnabel handelt (was aufgrund der Textzeile "nie vergesse ich unseren ersten Tag / nanananaaana nana" für ein außergewöhnliches Erinnerungsvermögen bei Frau Rosenberg sprechen würde), sondern naheliegenderweise eine Person in ihrem Leben gemeint ist - dann bedeutet der figurative Gebrauch eine enge, aber kontingente Verbindung.   

Normativ wird das ganze dann, wenn eine Konnotation auftritt, die ich als definitorischen Sollensanspruch bezeichnen möchte. Also: Jemand mit Definitionshoheit hat festgelegt, dass es wünschenswert ist, dass X - deskriptiv oder figurativ - Teil der Menge Y ist. Dieses Wünschenswerte kann moralisch begründet sein, muss es aber nicht: Zu einem guten Essen gehört ein edler Wein.

Soweit, so gut. Nun die Frage: Wie verhält sich das bei Abstrakta? Da muss man wiederum unterscheiden, ob man eine analytische oder eine synthetische Aussage trifft. Analytisch ist langweilig, da lässt die Definition keinerlei Spielraum zu und wir befinden uns völlig im deskriptiven Bereich: Das Quadrat gehört zu den Rechtecken. Aber spannend wird es bei synthetischen Aussagen - denn wie wir seit Kant wissen, sind synthetische Urteile a priori unmöglich - man muss sich also der hässlichen Aufgabe stellen, zu ermitteln, was gemeint ist. 

Also ist die Frage, wenn wir zu unserem Islam-Deutschland-Satz zurückkehren: Was ist in diesem Kontext "der Islam", was ist "Deutschland", und kann man die beiden Inhalte in eine der drei oben beschriebenen Gehört-zu-Relationen setzen, so dass der Satz einen Sinn ergibt? 

Man sieht schon, sowohl der fragliche Teil als auch die fragliche Menge, zu der er "gehören" soll, sind Gegenstand einer Diskussion, die so wutentbrannt geführt wird, als hinge das Überleben der Diskutanten davon ab. Auch drängt sich der Eindruck auf, dass der Anteil derer, die glauben, dass das tatsächlich zutrifft, von Tag zu Tag größer wird.

Aber weiter: Bei der Frage nach dem "Islam" gibt es in der Diskussion zwei Bruchlinien: Die eine geht darum, ob er lediglich deckungsgleich ist mit der Menge, der sich zur mohammedanischen Religion bekennenden Personen, oder ein Abstraktum darstellt. Die andere nimmt letzteres als gegeben und fragt, ob der Islam eine "Religion" im Sinne des Art. 4 GG oder eine "politische Ideologie" ist.

Was "Deutschland" ist, liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand. Ist damit das Staatsgebiet, die Menge seiner Bewohner gemeint, seine Staatsangehörigen, seine Gesetze oder Abstrakta wie "Nation" oder "Kultur"?

Und hier wird es wirklich verzwickt - denn man sieht spätestens jetzt, dass die oben angeführte Unterscheidung zwischen deskriptivem, figurativem und normativem Wortgebrauch auch auf diese Begriffe angewendet werden kann. Wir haben jetzt also schon - ohne eine genauere Definition von "Islam" und "Deutschland" anzulegen - 27 mögliche Varianten, wie dieser Satz gemeint sein könnte.

An dieser Stelle werden wohl manche Leser einwenden: "Blödsinn! Es ist doch völlig klar, wie <ergänze jeweiligen politischen Gegner> den Satz gemeint hat!". Normativ natürlich!

Das ist wahrscheinlich sogar so. Denn normativ ist einfach, deskriptiv ist schwer. Und deshalb wird die normative Affirmation der eigenen Meinung zum "deskriptiv richtigen" ernannt und das "Normative des politischen Gegners" zum "deskriptiv falschen". Und da sei den Zuwanderungskritikern mal ausnahmsweise recht gegeben - wir brauchen tatsächlich gar keine unqualifizierten Zuwanderer, das unqualifizierte Daherreden/twittern/facebooken ohne vorheriges Nachdenken kriegen wir verdammt gut selber hin. Und natürlich grundsätzlich auf der normativen Ebene.

Nicht umsonst hat das Verwechseln von normativen und deskriptiven Aussagen im menschlichen Denken (bzw. in dessen Abwesenheit) so eine fundamentale Bedeutung, dass es sogar eine eigene Bezeichnung erhalten hat: Das Humesche Gesetz. Benannt nach dem Philosophen David Hume (jawohl, der Gegner Hegels in den essenziellen Dingen).  

Ich glaube, dass die meisten - ich zögere hier kurz - Argumente in dieser Debatte aus absichtlichen oder unabsichtlichen Schließen vom Sein aufs Sollen bzw. dem Unterstellen dieses Fehlschlusses an die jeweilige Gegenposition beruhen (die berühmteste Quelle naturalistischer Fehlschlüsse in diesem Zusammenhang bietet das Diktum der Kanzlerin: "jetzt sind sie halt da"). Muss man aber nicht eine solche Debatte als Scheindebatte abqualifizieren? Müsste man nicht in Anlehnung an einen bekannten Slogan T-Shirts mit dem Aufdruck "Nix gehört zu nix" drucken?

Müssen muss man gar nichts, und insofern tun wir mal so, als ob es eine echte Debatte wäre, und spielen mal ein paar Implikationen durch, vielleicht wird es dann interessanter. Nehmen wir mal eine deskriptive Interpretation und sagen mit dem Bundesheimatminister: Der Islam gehört nicht zu Deutschland, aber die Muslime schon. Dann wäre doch die viel spannendere Frage eine Teilmenge tiefer anzusiedeln: Gehören die Muslime zum Islam? 

Oder die oft argumentativ eingewandte Frage: Gehört der Holocaust zu Deutschland? Deskriptiv auf Deutschland bezogen würde man tendenziell nein sagen, weil aktuell keiner stattfindet und kaum noch Täter von damals am Leben sind. Figurativ würde Herr Höcke sagen "ja, aber das find ich überhaupt nicht knorke", und normativ kann man einwenden, dass die Konzeption eines wünschenswerten Holocausts zum Glück kaum noch jemand vertritt. Sieht man allerdings "Holocaust" deskriptiv und "Deutschland" zumindest figurativ als Kontinuum eines nationalen Gedächtnisses, kann man sich kaum rausreden. Will man es doch tun, muss man die Ebenen vermischen. Und die "gehört-zu-Relation" in der passenden Fassung ist der Zement des geschlossenen Weltbildes.

Das bewusste Spiel mit diesen Ebenen ist eine ungeheuer mächtige propagandistische Waffe, die zielsicher solange trifft, wie die Zuhörer entweder willens sind es mitzuspielen oder zu doof oder faul, es zu durchschauen. Tun sie es nicht, kann man einfach alles verknüpfen. Und offen gestanden, es macht Spaß - siehe folgendes:

Niemand würde wiedersprechen, dass τζατζίκι so sehr zu Griechenland gehört wie das in gewissen Kreisen bereits auf der Roten Liste bedrohter Arten vermutete Schweinefleisch zu Deutschland (vielleicht nicht qua Blutlinie, die Ursprünge werden über das Transitland Türkei in Indien vermutet, aber das juckt bei den Kowalkis im Pott ja schon nach 100 Jahren keinen mehr). Nun ist es nicht sehr höflich, den durch exzessiven Knoblauchgenuss entstehenden Mundgeruch als intrinsische Eigenschaft einem Land zuzuschreiben, auch wenn er rein deskriptiv vermutlich überdurchschnittlich vertreten sein dürfte. 

Nein - was zu einem Land gehört, muss sich aus der Tradition, dem kulturellen Gedächtnis, den nationalen Mythen speisen. Und so leid es mir tut, liebe Griechen - das Rheingold der Ägäis entstand schon zu klassischen Zeiten, lange lange bevor die osmanischen Invasoren die Hellenen mit ihrer Knoblauchpampe bereichert haben:
In Greek mythology, Hypsipyle was the Queen of Lemnos. During her reign, Aphrodite cursed the women of the island for having neglected her shrines. All the women developed extreme halitosis that made them repugnant to the men of the nation. 
In der griechischen Mythologie war Hypsipyle die Königin von Lemnos. Während ihrer Herrschaft verfluchte Aphrodite die Frauen auf der Insel, weil sie ihre Heiligtümer vernachlässigt hatten. Alle Frauen wurden von extremem Mundgeruch befallen, der sie auf die Männer ihrer Nation abstoßend wirken ließ.
Der Fall ist klar - der Mundgeruch gehört zu Griechenland - qua olympische Verfügung.* Oder nicht?

Ich komme jedenfalls zu dem Schluss, dass die ganze "Gehört-zu"-Debatte ein substanzloses Feuerwerk an Nebelkerzen ist, das sich völlig verselbständigt hat und lediglich dazu dient, den jeweiligen politischen Gegner zu diskreditieren und sich im eigenen Lager als wahlweise "weltoffen" oder "patriotisch" zu profilieren. 

Und das traurige ist, dass das schon zu reichen scheint, um den Blätterwald und die Kommentarspalten zu füllen und ein landesweites Zirkeltraining im Stöckchenspringen hervorzurufen. Wie armselig. 

* Der anschließende Genozid der übelriechenden Damen an ihren wegen ihrer Ausdünstung untreu gewordenen Männern ist wiederum eine kurze Episode, die man nicht überbewerten sollte (Stichwort: Lemnoskeule).  

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*Meister Petz*

© Meister Petz  Titelvignette: Marianne Rosenberg. Vom Autor Arne List unter CC BY-SA 3.0 lizensiert. Für Kommentare bitte hier klicken.